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Dat muss' kesseln in Hartenholm!

Vergangenes Wochenende war ich mit meinem Partner und meiner Schwiegermutter-in-Spee in Hartenholm.

Brösel und Holgi sollten also nach 30 Jahren wieder gegen einander antreten. Versteht sich von selbst: Das sollte schon ein Spektakel werden und alte eingesessene und neue "Werner"-Fans aus ihren Kellern locken.

Ich selbst bin kein wirklicher "Werner-Fan", bin aber mit den Filmen aufgewachsen.

Genauso gehört "Werner" eben zur Nord-Deutschen-Manier. Wer sich als als eingefleischtes Nordlicht bezeichnen will, versteht zumindest "Platt" und benutzt zu weilen die Wörter "Dösbaddel" und "Matschbagge". Wir sind halt laute und direkte "Schnackköbbe". Da kommt man auch an dem Phänomen "Werner" nicht dran vorbei, denn da erlebt man in geballter Form ein Stück Heimat.

Donnerstag ging es bereits los mit der Anreise zum "Werner-Rennen 2018".

Die Anreise lief relativ unproblematisch ab, nur das wir direkt vor Hartenholm auf der B206 im Stau festsaßen.

Selbst das war aber ziemlich unterhaltend. Rocker eben. Man stieg einfach aus, ließ den Motor oder die Zündung laufen und drehte die Musik auf. Leben und feiern kannst du überall! Biker hielten an und verteilten Bier und schnackten drauf los. Dort konnte man schon erahnen welch' kuriose Gefährte sich dort auf dem Festival präsentieren würden. Einfach ein Ereignis, dass es so kein zweites Mal gibt.

Ich hatte im Vorfeld mit dem Veranstalter telefoniert, wie barrierefrei und behindertengerecht, das "Werner-Rennen" aufgestellt war. Man versprach uns bei zeitnaher Anreise einen Zeltplatz inkl. PKW in direkter Nähe zum Eingang des Hauptgeländes, wo Bands auftraten und Rennen gefahren wurden. Dies Klappte ohne Probleme. Auch Sanitäranlagen befanden sich in unmittelbarer Nähe. Sogar richtige WC's. Ich war überrascht. Für Behinderte separate WC's mit integrierter Dusche und Heizung. Dies war am ersten Abend auch nötig.

Es goss in Strömen. Schleswig-Holstein hatte uns also gebührend empfangen und mir war bitter-kalt. Die heiße Dusche wärmte mich auf bevor es ins kühle Zelt ging und eine wandelnde Standheizung mich Gott sei Dank die Nacht über warm hielt. Ab dem nächsten Tag wurden es angehneme 21 Grad.

Nun sollten sich nicht nur die beiden alten Herren an diesem langem Wochenende den Dreck unter den Reifen zu fressen geben, auch nationale Bands und Comedians waren an der Tagesordnung.

So durfte ich unter anderem Doro, Fury In The Sloughterhouse, Bülent Ceylan und natürlich Torfrock sehen.

Besonders scharf war ich wieder auf Mr. Hurley und die Pulveraffen und dass ich zum ersten Mal die etwas neu formierten Jungs von "Subway to Sally" mit ihrer neuen Front-Frau Johanna sehen durfte.

Diese neue Zusammenstellung nennt sich "Bannkreis". Man merkte die 25-jährige Erfahrung den alten Hasen der Truppe an. Von Johannas Stimme war ich von Anfang an begeistert. Geschockt allerdings von der Nachricht, dass dieser schönen, jungen Frau ein fatales Schicksal ereilt hatte. Sie war komplett erblindet.

Sie sang aber mit soviel Gefühl für und über das Leben, dass einem die Haare zu Berge standen (wortwörtlich). Mir schauderte es am ganzen Körper. Das Zelt, welches am Anfang, durch die Unbekanntheit der Band, noch leer gewesen war, füllte sich durch die Klänge von Minute zu Minute. Den Menschen gefiel, was sie da hörten.

Ich werde das Konzert in Kiel diesen Winter definitiv aufsuchen.

Durch meine begrenzten Kräfte verpasste ich leider eine Band, die ich schon lang einmal sehen wollte: Knorkator.

Das war aber nicht weiter Schlimm. auf den gesamten Zeltplätzen dröhnte bester Rock und Metall.

Stellt euch vor, ihr wacht morgens in eurem Zelt auf und hört von der Ferne schon Bass und Drums dröhnen.

Beim Frühstück hockt ihr dann mit lieben Menschen vor eurem Zelt und esst Toast mit Spiegelei vom Gas-Brenner und lauscht immer noch dieser Musik. Alle Mit-Camper um euch rum haben Spaß; kaum setzt ein allerseits-bekanntes Lied ein, grölen alle mit ihrem Kaffee in der Hand mit und tippen mit ihren Clocks und in Jogginghose zum Tackt der Musik.

Für andere die reinste Katastrophe an einem Sonntag, für mich reinste Idylle. Man, ich war sowas von zu Hause!

Am Sonntag gaben sich dann endlich Holgi und Brösel die Revange, auf die alle gewartet hatten. Natürlich war ich insgeheim für Brösel, war aber zu realtistisch um zu glauben, er könne gewinnen. So ein riesiges, unstabieles PS-Monster-Bike in der Spur zu halten und von dem "Red-Porsche-Killer" alles abzuverlangen, was sie hat, erschien mir gegen einen stabilen Porsche 911 utopisch.

Ich irrte mich. Brösel hatte anscheinend so viel Bölk-Stoff getankt, dass er schon zu übermenschlichen fähig war. Er lag sicher auf der Maschine und brachte mit ihr den nötigen Gripp auf den Aspalt. Unglaublich. Er zog Holgi um eine länge ab. Es bleibt zu rätseln ob das ein herbeigeführter Sieg war oder einfach nur eine glückliche Fügung. Ich erfuhr im Nachgang, dass der Wacken- und Werner-Veranstalter zusammen den Flugplatz bereits für weitere 5 Jahre gepachtet hatten. Hm. Da kommt wohl noch was?!

Den krönenden Abschluss brachten unsere heimatlichen Jungs von Santiano. Sie sangen über die Melancholie der Seefahrer und zum Fernweh des Nordens. Ich grölte aus voller Überzeugung mit. Seit Heidelberg merkte ich, nun jetzt endlich wieder Zuhause angekommen zu sein.

Ich muss euch ehrlicherweise gestehen, dass ich dieses; mein erstes Festival, nicht ohne Hilfe hätte erleben können. Ich danke dem "Inklusion muss laut sein!"-Team und den Stewards für die Hilfe und Tipps auf dem Gelände. Sie haben immer wieder interveniert und vermittelt (bis auf ein - zwei Idioten, die selbst einen Schwerbehindertenausweis nicht lesen oder verstehen können - die Ausnahme).

Besonders aber meiner Schwiegermutter-in-Spee, die nicht locker ließ für mich einen Rollstuhl mitzunehmen, weil ich meinte "Das ginge ja schon; wie sieht das denn aus?". Es war Gold richtig. Komischerweise verbinden Veranstalter mit Behinderten einen Rollstuhl. Auch hier war es so, was ich sehr traurig finde. Das Recht auf Inklusion, was ich auf Grund meiner Merkzeichen ja eh schon habe, musste ich mir dort Mithilfe eines Rollstuhls halbwegs "erschleichen". Erhöhte Plätze und Behinderten WC's wurden durch Stewards geschützt (was auch gut so ist, sonst ginge jeder Betrunkene darauf) und auch nur Menschen mit einem Rolli konnten ihn mit einem Rollstuhl und/oder Begleitperson befahren. Autsch. Wirklich unangenehm. Selbst das Vorzeigen des Behindertenausweises und der Merkzeichen brachte nichts. Diejenigen, die nicht mit dem Rollstuhl kamen aber ein ähnliches Schicksal hatten wurden wieder runter geschickt. Sie könnten ja augenscheinlich stehen. Ein Skandal. Selbst das Inklusions-Team konnte sich nur begrenzt dagegen durchsetzen. Ohne Rollstuhl wäre ich aufgeschmissen gewesen und hätte wohl nach spätestens 1 Tag das Gelände traurig verlassen, denn es gab nicht wie versprochen "Sitzgelegenheiten an jeder Ecke".

Das hat mich so entsetzt und mir die Augen geöffnet.

Ich habe vor mich irgendwie für Inklusion stark zu machen. Davon haben nicht nur wir kleinen PHler was.

Das Bild in den Kopfen der Menschen muss verschwinden, dass behinderte nicht an einem Rollstuhl zu erkennen sind und auch nicht nur so Hilfen im Alltag zu erwaten haben. Ich selbst habe es vor ein paar Monaten bei der Anfrage zu einem Konzert am eigenen Leib erfahren. NUR mit Rollstuhl bekäme ich einen Sitzplatz mit guter Sicht. Dass ich aber kurze Zeit stehen kann und nur einen Stuhl gebraucht hätte, lies sie kalt, es wäre mir nur möglich mit einem Rollstuhl. Sonst könne man nichts für mich tun.

Ich danke dir Britta und auch meinem Partner sehr dafür, das alles mit dem Rollstuhl an dem Wochenende möglich gemacht zu haben. Das ganze Rumgeschiebe über den "Gemüseacker". Denn mit noch etwas hatte der Veranstalter leider Unrecht: Es gab keine befestigten Wege. Ein paar Matten auf dem Gelände, das wars.

Es gibt noch viel in Sachen Inklusion zu tun. Es reicht nicht, dass es "besser" geworden ist. Es ist immer noch nicht ausreichend, denn wir gehandicapten müssen uns im Alltag immernoch rechtfertigen. Gleichgestellt sind wir noch lange nicht.


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